
Schwerte. Sie wacht über das „Gedächtnis“ der Kommune. Ihre Aufgaben reichen von der Bewahrung, Bewertung und Erschließung bis hin zur Nutzbarmachung und Auswertung der Schriftgutüberlieferung. Dabei handelt es sich um Urkunden, Akten, Fotos, Pläne, Plakate, Zeitungen, Film- und Tonbänder und in Zukunft auch um digitales Schriftgut. Wenn Stadtarchivarin Beate Schwietz in ihre berufliche Zukunft schaut, dann hat sie vor allem auch das Internet im Blick. Ihre größte Herausforderung ist, sagt die 35-Jährige, „der Aufbau einer Internetpräsenz, so dass Findmittel und ausgewählte Teile der Archivbestände direkt im Netz zugänglich sind.“ Der Archivnutzer hätte dann die Möglichkeit, sich über die Bestände des Stadtarchivs bequem und unabhängig von den Öffnungszeiten zu informieren. In vielen größeren Archiven ist das längst Standard.
Als Beate Schwietz im Frühjahr 2015 zum Vorstellungsgespräch in die Ruhrstadt kam, da war das ihr erster Besuch in Schwerte. „Die Hörder Straße“, erinnert sie sich, „machte keinen guten Eindruck. Dafür war die Überraschung umso größer: Mit seinem historischen Stadtkern hat Schwerte direkt einen positiven Eindruck bei mir hinterlassen. Ich hatte sofort das Gefühl, dass die Schwerter Bürger historisch interessiert sind.“
Wertvolle Unikate
Bis zum 1. August des vergangenen Jahres war das Stadtarchiv unter dem Dach des Alten Rathauses noch dem Ruhrtalmuseum angegliedert, heute ist es eine eigene Einrichtung und im Kultur- und Weiterbildungsbetrieb der Stadt aufgegangen. Was reizt sie an ihrem Berufsfeld? Beate Schwietz: „Dass, provozierend ausgedrückt, aus einfachem, alten beschriebenen Papier plötzlich vergangene Welten zu lebendigen Orten und Wirklichkeit werden. Zu bestimmten Themen finden sich so viele verschiedene Quellen, dass man Abläufe aus der Vergangenheit teilweise haargenau rekonstruieren kann. Die staubigen, leblosen Akten sind voller lebendiger Vergangenheit.“ Als Archivarin hat sie das Privileg, „mit diesen wertvollen Unikaten arbeiten zu dürfen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mich für diesen Beruf entschieden habe. Auch wenn ich als Quereinsteiger ins Archiv gekommen bin und keine klassische Archivausbildung habe.“
„Heimathirsche“ einbeziehen
Im Jahre 2002 hat Schwertes heutige Stadtarchivarin das Studium der Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum aufgenommen, das sie 2008 mit dem Master of Arts abgeschlossen hat. Nach Tätigkeiten im Stadtarchiv Castrop-Rauxel, im Unternehmensarchiv der Bertelsmann AG in Gütersloh und dem LWL-Medienzentrum für Westfalen arbeitete sie zuletzt als Archivangestellte im Historischen Archiv des Erzbistums Köln. Am 1. Juni 2015 trat die Mutter zweier Töchter im Alter von sechs und eineinhalb Jahren ihren Dienst in Schwerte an. „Leidenschaftlich gerne“, erklärt sie, „arbeite ich mit historischen Fotos. Der Mensch von heute ist visuell geprägt. Auch ich kann mich nicht davon freisprechen. Bilder bieten einen leichteren Zugang zu völlig fremden oder vergangenen Welten und liefern Informationen, die schriftliche Quellen zum Teil nicht übermitteln können. Bilder bilden eine wichtige Ergänzung zum Schriftgut.“ Häufig fehlten wichtige Daten, die helfen, ein Foto einzuordnen. Anhand von Anhaltspunkten wie Kleidungsstil, Automodellen oder Fotoformat ließe sich das Foto dann zeitlich und inhaltlich bestimmen. Beate Schwietz: „Das ist ein wenig wie Detektivarbeit.“ Eine letzte und häufig erfolgreiche Methode zur Identifizierung von historischen Fotos sei die Einbeziehung von sogenannten „Heimathirschen“, die in der Regel die entscheidenden Hinweise liefern können.
Enge Verknüpfung mit dem Museum
Gut ein Jahr nach ihrem Dienstantritt in Schwerte skizziert Beate Schwietz das Schwerter Archiv wie folgt: „Der Bestand ist entsprechend der Größe der Gemeinde überschaubar. Nichtsdestotrotz braucht sich das Stadtarchiv Schwerte mit seinem historischen Bestand nicht zu verstecken. Die älteste Urkunde stammt aus dem 14. Jahrhundert.“ Dabei handele es sich um Grundstücksübertragungen auf Pergament. Als „besonders“ lobt die Stadtarchivarin „die enge Verknüpfung und Zusammenarbeit mit dem Ruhrtalmuseum. Historische Objekte und Dokumente ergänzen direkt einander.“ Als „kritisch“ bezeichnet sie „die räumlichen und personellen Engpässe im Stadtarchiv. Es mangelt dringend an Lagerplatz und personellen Kapazitäten. Insbesondere im Verzeichnungsbereich gibt es einen unheimlichen Nachholbedarf. Mit einer halben Stelle kann dieser Rückstand nur schwer aufgeholt werden.“
Mit ihrem Dienstantritt vor gut einem Jahr hat die Stadtarchivarin auch ein Benutzerbuch eingeführt, die Zahlen darin sind stetig steigend. Die meisten Besucher sind heimat- oder familiengeschichtlich oder auch wissenschaftlich interessiert. Noch in dieser Woche nimmt ein junger Mann im Stadtarchiv Recherchen für seine Masterarbeit auf. Das Thema lautet „Schwerte im 1. Weltkrieg“.
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Archivpädagogische Aspekte
Da aber nach wie vor kaum junge Menschen den Weg ins Stadtarchiv finden, möchte Beate Schwietz mit archivpädagogischen Projekten auch den Nachwuchs für die Stadtgeschichte begeistern und als künftige Benutzer gewinnen. Im Januar fand erstmals ein Projekt im Rahmen der Bildungsinitiative „Archiv und Schule“ statt. Kinder einer dritten Klasse der Albert-Schweitzer-Grundschule lernten nicht nur die Einrichtung und einige Schlaglichter der Stadtgeschichte kennen sondern kamen auch ganz praktisch mit der altdeutschen Schrift in Berührung. „Geplant ist, das Projekt im nächsten Jahr auf den gesamten dritten Jahrgang der Schule auszuweiten, im Idealfall sogar in den Lehrplan zu implementieren“, zeigt die Archivarin auf. Darüber hinaus werden auch Kooperationen mit weiterführenden Schulen angestrebt.
Wenn Umbau und Sanierung der Alten Marktschänke und des Ruhrtalmuseums anstehen, dann muss das Stadtarchiv aus dem Obergeschoss des Museums ausziehen. Voraussichtlich 2017 wird es dann seinen neuen Standort im City Centrum einnehmen. Beate Schwietz: „Wünschenswert sind Räumlichkeiten mit einer größeren Magazinfläche und einem Lesesaal für die Archivbenutzer.“